- Fokus Wissenschaft
- These 1: Suizidalität bei homosexuell empfindenden Jugendlichen
- These 2: Schule als Ort homophoben Verhaltens
Die These, dass die Schulen ein Ort sind, an dem homophobes Verhalten verstärkt zu finden ist, wo lesbische und schwule Jugendliche in ihrer sexuellen Identität wenig unterstützt werden, Vorurteile, Diskriminierung und Mobbing erleben, wird immer wiederholt. Damit hängt zusammen, dass die Lehrerinnen und Lehrer für diese Missstände in Haftung genommen werden.[1]
Schon die Initiatoren der Euro-Pride 2009 in Zürich nannten die Schule die „letzte heterosexuelle Bastion“ in der Homosexualität nur bedingt Zutritt habe.[2] Brigitte Lösch (MdL und erste Vizepräsidentin des Landtages von Baden-Württemberg), argumentiert ähnlich und fordert:
„Bei der Überarbeitung der Bildungspläne sei es deshalb sehr wichtig, mit alten Normen zu brechen und Homosexualität in den Schulbüchern und im Unterricht zu behandeln. „Mit Diskriminierung muss endlich Schluss sein – Respekt für die die Vielfalt von Liebe.“[3]
Gewalt gegen homosexuelle Jugendliche
Wie steht es aber um die empirische Wirklichkeit? Wie werden homosexuelle Jugendliche diskriminiert? Bei der Auftaktveranstaltung des Aktionsplans im Stuttgarter Landtag berichtete Thomas Ulmer vom Verband lesbischer und schwuler Polizeibediensteter in Baden-Württemberg, dass straffällige Übergriffe bisher schwer zu ermitteln sind. 75 Meldungen gehen bspw. in Berlin jährlich bei der Polizei wegen „homophober“ Übergriffe ein. In Baden-Württemberg mit seinen 10,5 Millionen Einwohner waren es 2009 16 Straftaten mit „homophoben“ Hintergrund.[4]
In einer amerikanischen Studie aus dem Jahr 2008 kommen Gruber und Fineran zu dem Schluss, dass Jugendliche, die sich als homosexuell oder bisexuell bezeichnen, häufiger Bullying erlebt haben. (Diese Studie diente dem Arbeitspapier der SPD-Fraktion „Aktiv gegen Homophobie“ als Begründung.) Sie befragten über 500 Schülerinnen und Schüler über Erfahrungen mit Bullying und sexueller Belästigung. Die Studie kommt zum Ergebnis, dass ca. 50 Prozent der heterosexuell empfindenden Jugendlichen berichten, Opfer von Bullying zu sein (53 Prozent der Jungen, 51 Prozent der Mädchen). 79 Prozent der homosexuell oder bisexuell empfindenden Jugendlichen berichten, Opfer von Bullying zu sein. Hier wurden Jungen und Mädchen nicht getrennt aufgeführt.[5] Für die Behauptung, „die Folgen können schwerwiegende psychische Erkrankungen und Probleme sein, bis hin zu Depressionen und Suizidversuchen“[6] gibt es aber keinen Beleg.
Homosexuelle Jugendliche an der Schule
In der Auftaktveranstaltung des Aktionsplanes konstatierte Annemarie Renftle vom AK Lesben und Schwule der GEW Baden-Württemberg, dass hierzulande es keine Studien zur Lage von homosexuellen Jugendlichen an den Schulen gäbe, sowie keine über und Lehrkräfte, die sich als solche outen.[7] Die ersten Untersuchungen gibt es aber bereits.
In einer aktuellen Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes[8] wurden die Anfragen an die Antidiskriminierungsstelle im Kontext Schule in den Bereichen
- ethnische Herkunft (38,89%),
- Behinderung (28,52),
- Alter (10,37%),
- Geschlecht (9,62%) und
- Religion und Weltanschauung (9,26%)
am Häufigsten angegeben.
Die Benachteiligung nach sexueller Identität ist mit 3,33% die geringste unter den eruierten Anfragen. In der Untersuchung von Streib-Brzič/Quadflieg[9] über die Diskriminierungserfahrungen in Schweden, Slowenien und Deutschland und die Strategien zur Vermeidung dieser, fasst die Antidiskriminierungsstelle das Ergebnis folgendermaßen zusammen:
„Die Ergebnisse zeigen für Deutschland, dass die befragten Schüler_innen mit LGBTQ-Eltern [LGBTQ = lesbisch, schwul, bisexuell, transgender oder queer] zwar keine Erfahrungen mit körperlicher Gewalt, jedoch »Erfahrungen und Befürchtungen von Diskreditierung und Ausgrenzung auf verbaler und non-verbaler Ebene durch Peers und Pädagoginnen« (…) gemacht haben. Von Lehrerinnen oder Peers »als ›nicht-normal‹ oder ›un-normal‹ wahrgenommene Familie assoziiert zu werden, wird als potentiell bedrohlich empfunden und ist mit Gewalterfahrungen und -befürchtungen verbunden«.“[10]
Diese Einschätzungen schwingen im Arbeitspapier der SPD-Fraktion „Aktiv gegen Homophobie“ mit. Nach dem Lesen dieser Untersuchungen kommt man zu folgendem Schluss:
- Es gibt so gut wie keine Erfahrung von körperlicher Gewalt auf Seiten homosexueller Schülerinnen und Schüler, wie bei Lehrerinnen und Lehrer.
- Die fehlende Akzeptanz, nicht Toleranz (!) von Seiten der Lehrkräfte bzw. von Schulleitungen wird als „potentiell bedrohlich“ wahrgenommen.
Das wird z.B. in der Aussage deutlich: „Die meisten Jugendlichen [wagen es] nicht, sich während ihrer Schulzeit zu outen – dasselbe Verhalten ist übrigens häufig bei homosexuellen Pädagoginnen und Pädagogen zu beobachten.“[11] Wohlgemerkt geht es hier nicht um Toleranz. Gefordert wird Akzeptanz, das heißt, die „demonstrative Befürwortung und ausdrückliche Bestätigung von Minderheiten und Randgruppen.“[12] Eine wichtige Forderung ist daher, dass die Pauschalisierung und Verdächtigungen der Lehrkräfte in Baden-Württemberg, denen jegliche empirische Grundlage fehlt und die auf „potentiell bedrohlichen Empfindungen“ beruhen, beendet werden müssen.
Folgerungen
Dass Schimpfworte wie „Schwuchtel“ oder „schwule Sau“ unter Schülern weit verbreitet sind, ist eine Tatsache, die kein Mensch der im Umfeld Schule arbeitet, abstreitet. Es eine wichtige Aufgabe der Lehrkräfte, gerade diese Form von Ausgrenzung und Herabwürdigung entgegenzutreten. Die dargelegten Studien zeigen jedoch, dass die Überhöhung der „Verankerung sexueller Vielfalt“ wie sie in den „Leitprinzipien“ dargelegt sind, nicht nachvollziehbar sind. Mit der Heraushebung einer „Opfergruppe“ leitet die Landesregierung einen „Kampf um Anerkennung“ ein. Die nachdrückliche Frage ist die: Warum wird die Diskriminierung wegen ethnischer Herkunft, Behinderung, Alter, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung die um ein vielfaches höher ist, in den Leitprinzipien ausgeblendet?
[1] Arbeitspapier der SPD-Landtagsfraktion. 2013. „Aktiv gegen Homophobie – Verankerung im Bildungsplan (Sekundarstufe I+II). “ S. 1+3 (zu beziehen hier) martin.mendler@spd.landtag-bw.de; Bündnis 90/Die Grünen: Forderungen für die Umsetzung von zentralen Themen der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN in der Bildungsplanreform 2105, S. 5, in: www.brigitte-loesch.de/politik/schwule-lesben-transgender/Positionspapier_BNE_MdL_17052013_final.pdf, S. 5, und Netzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg. 2013. Themenheft. Zwischenergebnisse der Themengruppe des Netzwerks, in: http://www.netzwerk-lsbttiq.net/files/Netzwerk-LSBTTIQ_Themenheft-11-2013_mitTitel.pdf, S. 5.
[2] Gut, Phillip, Essay: Der Kult um die Schwulen, in: DIE WELT vom 17.10.2009.
[3] Pressemitteilung der ersten stellvertretenden Präsidentin des Landtags von Baden-Württemberg, Silvia Lösch am 5.05.2013 zu „17.5. – Internationaler Tag gegen Homo- und Transphobie.“
[4] Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 14/6362 vom 11.05.2010.
[5] Gruber, James E./Fineran, Susan. 2008. Comparing the impact of bullying and sexual harassment victimization on the mental and physical health of adolescents, in: Sex Roles 59, S. 1-13.
[6] Aktiv gegen Homophobie, S. 1.
[7] Annemarie Renftle bei der Anhörung im Landtag von Baden-Württemberg am 20.04.2012, in: http://www.gruene-landtag-bw.de/fileadmin/media/LTF/bawue_gruenefraktion_de/bawue_gruenefraktion_de/tonmitschnitte/toleranzplan.mp3
[8] DIE WELT vom 13.08.2013.
[9] Streib-Brzič, Uli/ Quadflieg, Christiane (Hg.). 2011. School is out?! Vergleichende Studie „Erfahrungen von Kindern aus Regenbogenfamilien in der Schule“ durchgeführt in Deutschland, Slowenien und Schweden. Teilstudie Deutschland. Berlin: Zentrums für transdisziplinäre Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität zu Berlin, S. 32.
[10] Antidiskriminierungsstelle des Bundes. 2013. Diskriminierung im vorschulischen und schulischen Bereich. Eine sozial- und erziehungswissenschaftliche Bestandsaufnahme. Berlin: Antidiskriminierungsstelle des Bundes, S. 49.
[11] Aktiv gegen Homophobie, S. 1.
[12] GEW. 2013. Lesbisch und schwule Lebensweise – ein Thema für die Schule. Stuttgart: GEW, S. 35.