Es dauerte über ein halbes Jahr seit dem Start der baden-württembergischen Bildungsplan-Petition, dass das eigentliche Thema, wie die „Sexualpädagogik der Vielfalt“ an den Schulen vermittelt wird, in den Leitmedien aufgenommen wurde. In der Süddeutschen Zeitung vom 24.04.2014 schrieb Christian Weber: „Pflichtgemäß hat man mit dem Kopf genickt, als die Leitartikler die Proteste gegen dieses Lernziel [Akzeptanz sexueller Vielfalt] gegeißelt haben. Wenn man aber nachliest, was unter einer „Sexualpädagogik der Vielfalt“ möglicherweise konkret zu verstehen ist, wird einem doch komisch zumute.“[1] In einem programmatischen Aufsatz hat der Kieler Professor Dr. Uwe Sielert Gender Mainstreaming im Kontext einer Sexualpädagogik der Vielfalt[2] schon im Jahr 2001 skizziert. Diesen gilt es genauer unter die Lupe zu nehmen. Die Darstellung orientiert sich eng an den Originalzitaten.
Gender Mainstreaming
Die meisten Menschen in unserem Land haben unter dem Begriff Gender Mainstreaming die Vorstellung, dass es hier lediglich um den Kampf gegen Benachteiligung der Frauen im öffentlichen Leben und der Arbeitswelt ginge. Gender Mainstreaming wurde 1999 im Amsterdamer Vertrag der EU verankert. Im gleichen Jahr hat das Kabinett Schröder Gender Mainstreaming als durchgängiges Leitprinzip für die Bundesregierung verabschiedet. In öffentlichen Verlautbarungen wird gerne darauf verwiesen, dass „das Leitprinzip der Geschlechtergerechtigkeit die Politik [verpflichtet], Entscheidungen so zu gestalten, dass sie zur Förderung einer tatsächlichen Gleichberechtigung der Geschlechter beitragen.“[3]
Ausgangsposition und Vorgehensweise
Gender Mainstreaming hat seine Ausgangsposition im politisch-administrativen Bereich auf EU-Ebene. Es geht nicht von einer demokratischen Graswurzelbewegung aus, oder von real existierenden Problemen. Nein, sie geht laut Sielert „ohne vorgegebene Grundannahmen über die dort existierenden Geschlechterverhältnisse“ (Sielert 2001:18) vor. Im Klartext: eine Analyse der bestehenden Geschlechterverhältnisse und deren Bewertung werden bewusst nicht vorgenommen. Die Parallelen im Vorgehen der baden-württembergischen Landesregierung mit dem Ziel der „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ im Bildungsplan zu verankern, sind nicht zu übersehen. Die fehlende Analyse und Bestandsaufnahme ist für die weitere Vorgehensweise durch Gender Mainstreaming nicht weiter tragisch, denn durch diese „ist der Weg frei geworden für die Entideologisierung bisheriger Positionen in der Geschlechterdebatte“ (Sielert 2001:18). Geht man darauf ein, welche Verben Sielert häufig gebraucht, fallen „in Frage stellen“, „überprüfen“, „abbauen“, „entnaturalisieren“ auf. Die Frage ist nur: Auf was beziehen sich diese Verben? Auf Ehe und Familie, den Zwang, Mann oder Frau zu sein, „Heterosexualität, Generativität und Kernfamilie zu »entnaturalisieren«“ (Sielert 2001:18)
Ziele von Gender Mainstreaming in einer Sexualpädagogik der Vielfalt
Sielert beschreibt die vier Ziele von Gender Mainstreaming in einer Sexualpädagogik der Vielfalt folgendermaßen:
- Flexibilisierung der Geschlechter: Die Entwicklung führt weg vom biologischen Geschlecht „sex“, hin zu dem kulturell-konstruierten „gender“. Sielert wieder im Original: „Wenn Gender in diesem Sinne als omnirelevante Kategorie interpretiert wird und die Struktur aller gesellschaftlichen Bereiche, also auch das sexuelle Begehren und die Formen des Zusammenlebens durchdringt (…), meint Gender Mainstreaming nicht nur die Infragestellung der bipolaren Geschlechterordnung, sondern ebenso der Bipolarität von Homo- und Heterosexualität sowie das Eintreten für vielfältige Elternschaft und eine Pluralisierung der Lebensweisen und Familienformen“ (Sielert 2001:18). Wie aktuell dieses Programm des Entnaturalisierens ist, zeigt die die Einführung von 60 Geschlechterkategorien bei Facebook[4] Anfang September 2014.
- Sich nicht mehr als Frau oder Mann definieren zu müssen. Hier geht es nicht nur um die Dekonstruktion des klassich-männlichen Dominanzmusters. „Es geht nicht nur darum, für die Gleichberechtigung vorhandener (d.h. zugewiesener) Identitäten und Lebensweisen (Mann oder Frau, Heterosexualität oder Homosexualität, Kernfamilie oder Single, mit und ohne Kinder) zu arbeiten, sondern für die potenzielle Vielfalt der Lebensweisen, die auch zwischen den polaren Identitätsangeboten existieren“ (Sielert 2001:23).
- Sich einzusetzen für eine Vielfalt der sexuellen Orientierungen, gegen die Dominanz der Kernfamilie. Vielfalt meint eine Perspektive auf das Thema, welche „die Struktur von Norm und Abweichung, von Allgemeinem und Besonderem zu Gunsten einer gleichwertigen Vielfalt verschiebt“ (Sielert 2001:23).
- Ausdehnen der Generativität außerhalb der biologischen Elternschaft. Dies soll durch Pflegschaft und Adoption, Leihmutterschaft und verschiedene Formen künstlicher Befruchtung vorangetrieben werden. Hier sieht der Autor im Jahr 2001 noch den größten umkämpften Bereich. Deshalb ist die Eingliederung in ein top-down-Programm (sprich: ein von oben gesteuertes antidemokratisches Vorgehen) absolut notwendig.
In dem Programm des Gender Mainstreaming in der Sexualpädagogik der Vielfalt sieht Sielert „eine lebendige (nicht immer unproblematische) Vielfalt beginnt zu gedeihen, die der potentiell inneren Vielfalt menschlicher Möglichkeiten entspricht“ (Sielert 2001:22). Man ist bei so viel Enthusiasmus bei gleichzeitiger Negierung der biologischen Vorgabe eher an Goethes Faust erinnert „Die Geister, die ich rief,…“
Woher kommt der Hass auf die Kernfamilie?
Hinter der euphemistischen Sexualpädagogik der Vielfalt steht nichts anderes als das systematische Programm, die Kernfamilie von Frau und Mann mit ihren Kindern abzuwerten. Christian Weber schloss seine Schlussfolgerungen in der Süddeutschen zu Uwe Sielerts Grundsatzüberlegungen und Elisabeth Tuiders Sex-Übungen mit folgendem Statement: „Doch genauso aufdringlich ist es, wenn Pädagogen alle gendertheoretischen Denkübungen aus dem soziologischen Seminar einfach mal so an ihren Schülern Ausprobieren – mit dem erklärten Ziel, diese in ihrer Geschlechtsidentität zu verwirren. Eine fahrlässige Pseudo-Aufklärung ist das, wenn Sex als völlig unproblematische, unverbindlich zu nutzende Spaßquelle vermittelt wird, die nichts mit Beziehungen zu tun haben muss. Das ist es nicht, was Mädchen und Jungen benötigen, die erste Erfahrungen mit Liebe und Sex machen. Sie brauchen nicht noch extra mehr Durcheinander, als ohnehin schon in ihren Köpfen herrscht.“
Es wäre für die weitere Diskussion und für die Abstimmung über die Petition im Stuttgarter Landtag in einigen Wochen hilfreich, wenn die Vorreiter der „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ einige längst überfällige Fragen beantworten würden:
- Warum muss man den Schülerinnen und Schülern heraushelfen aus „der Enge eindeutiger polarer Zuordnungen“? Warum wird die polare Zuordnung von Mann und Frau überhaupt mit „Enge“ beschrieben?
- Warum werden die seit Jahrzehnten in den Shell-Jugendstudien gemachten Erwartungen an eine vertrauensvolle Beziehung, an Ehe und die Gründung einer Familie, die drei Viertel der Jugendlichen äußern, nicht ernst genommen?
- Warum werden kalkulierbare Grenzüberschreitungen bewusst in Kauf genommen, wenn im Unterricht „Erlebnisräume für homosexuelles und heterosexuelles Begehren“ geöffnet werden sollen? Da sind das Basteln eines Bordells für verschiedene sexuelle Vorlieben, das pantomimische Darstellen einer Darkroom-Erfahrung (in der mehrere Männer miteinander Sex haben) sowie das Zwangsouting des „ersten Mals“ vor der Klasse sind die logischen Konsequenzen.
- Wieso werden problematische und leidvoll erlebte „Elternschaften“ als gleich zu würdigen hingestellt? Wieso wird ganz offen an einer Dekonstruktion der Familie gearbeitet?
- Warum werden der Wunsch Kinder zu zeugen und großzuziehen losgekoppelt von Treue und Zusammenhalt?
- Wieso steht die Konstruktion des individuellen Selbst im Vordergrund, in der Liebe von Sexualität entkoppelt ist?
Am 6. September 2014 trafen sich die wichtigsten Vertreter der sexuellen Vielfalt in Kassel zu einer Fachtagung unter dem Thema Produktive Erregung. Zur medialen Konstruktion sexualpädagogischer Praxis. Man darf gespannt sein, wenn die ersten Statements von der Tagung veröffentlicht werden, ob sie tatsächliche etwas zur Klärung beitragen, oder nur noch mehr verschleiern wie bisher.